Wolfgang hat einfach Glück.
Er besucht zwei Jahre lang das United World College of the Atlantic an der Südküste von Wales. An dieser Schule werden auch künstlerische Fächer unterrichtet, Wolfgang entscheidet sich für die Fotografie. Er hat damit Gelegenheit, die Analogfotografie von der Pike auf zu erlernen, ausschließlich in schwarz/weiß, von der Aufnahme bis zum fertigen Bild in der Hand. Die Arbeit in der Dunkelkammer schult das Gespür für Lichtwerte, eröffnet Einblick in Möglichkeiten der Bildbearbeitung. Die reizvolle Natur von South Wales bietet reichlich Gelegenheit für erste Gehversuche in der Landschaftsfotografie. Thematische Projektarbeiten, wie etwa in den Barry Docks, werden im Rahmen kleiner Ausstellungen präsentiert.
Mit dem Abschluss am College ist auch Schluss mit der Arbeit in der Dunkelkammer. Wolfgang versucht, den fotografischen Weg mit dem Diapositiv fortzusetzen. Aber, nach dem ersten Teil der kreativen Arbeit – der Aufnahme, findet der zweite Teil – aus einem belichteten Negativ in sorgfältiger Entwicklungsarbeit ein schönes Papierbild zu fertigen, beim Diapositiv nicht statt. Auch die Freude an der Schärfe des Diafilms, am hohen Kontrastumfang und der großen Farbtreue kann darüber nicht hinweghelfen. So findet der Abstecher in die Diafotografie bald ein Ende.
Außerdem – das Leben setzt seine Prioritäten.
Neuigkeiten kündigen sich an . . .
Jahre später führt eine Familienhochzeit zur Begegnung mit einer digitalen Spiegelreflexkamera, bald danach kommt die erste Kamera ins Haus. Viel Zeit wird damit verbracht, die „Neue“ auf Herz und Nieren zu prüfen, ihre Vorzüge und Mucken kennenzulernen, sie herauszufordern und mit ihr zu experimentieren. Am Rechner wird die digitale Dunkelkammer eingerichtet, der altgediente Monitor muss einem exzellenten, kalibrierbaren Mitbewerber mit größtmöglichem Farbraum weichen.
Monate vergehen, die Abende gehören dem Literaturstudium rund um die digitale Fotografie. Ein treuer Begleiter aus der Zeit am College „Camera Composition“, Harald Mantes frühes Sachbuch zur Bildkomposition wird hervorgeholt.
Was macht dieser Harald Mante eigentlich? Der bunte Vogel der zeitgenössischen deutschen Fotografiekunst ist schnell gefunden. Der nächste Urlaub führt folglich an die Ostsee nach Zingst zu den Fototagen, wo Harald Mante, immer noch treu seinem Grundsatz photography unplugged, einen Workshop hält zum Thema Sehen und Gestalten. Das Rahmenprogramm der Fototage bietet überdies die Möglichkeit, Informationen und Beratung zum digitalen Druck einzuholen.Endlich wieder ein Bild in der Hand
„Ein Foto als JPEG am Bildschirm anzuschauen ist nur die halbe Sache. Für mich ist die Arbeit am Bild erst dann beendet, wenn ich den Print in der Hand, oder – noch besser – schön präsentiert an der Wand betrachten kann. Wenn das, was ich sehe, dann auch mit meiner Erinnerung an den Moment der Aufnahme in Einklang steht, ist der fotografische Prozess für mich abgeschlossen.“
Wolfgang Mayerhoffer
Nach dieser Woche in Zingst ist sie also wieder da, die alte Leidenschaft fürs fertige Bild in der Hand, und sie ist größer denn je. Der erste Drucker wird gekauft, aber – der Print will gut gelernt sein. Viel Mühe und Aufwand, viel Zeit und Geld werden investiert – und es gilt zu üben, immer wieder zu üben. Stets kritische Analyse ist notwendig, der Workflow im Fine Art Print kann und muss immer wieder verbessert werden. Erfahrung sammeln ist alles.
Im Unterricht an der Prager Fotoschule Österreich entwickelt sich dann die Landschaftsfotografie zum favorisierten Genre. Wolfgang sucht und findet Anschluss an die einschlägige Szene im anglo-amerikanischen Raum. Dort ist die Fachkamera ein unter Landschaftsfotografen weit verbreiteter Kameratyp. Zwei voneinander unabhängige Ebenen ermöglichen durch den tilt (i.e. das Schwenken des Objektivs gegen die Sensorebene), dass die Schärfeebene in die Tiefe laufen kann. Wolfgang beschließt, diese „primitive“ Technik aufzugreifen, ist doch besonders in der Landschaftsfotografie die Tiefenwirkung im Bild absolut gefragt.
Fotografie und Druck im Großformat – keine Kleinigkeit . . .
Der rasch folgende Umstieg auf die digitale Fachkamera, die den Druck im Großformat geradezu verlangt, erfordert selbstverständlich auch einen großen Drucker. Auf einem großformatigen Bild ist besonders gut zu erkennen, welch wichtige Rolle die Dreidimensionalität spielt und welchen Detailreichtum ein hochauflösender Sensor der letzten Generation bieten kann.
warum dann auch noch selber drucken . . . ?
Workshops bei Joe Cornish, David Ward, Charlie Waite und Charles Cramer helfen, den eigenen Zugang zur Landschaftsfotografie zu hinterfragen und weiter zu entwickeln. Ausführlich werden mitgebrachte Bilder gesichtet und besprochen. Die intensive Reflexion und die von den Tutoren entgegengebrachte Wertschätzung ermutigen dazu, weiterzumachen.
Vorträge, Videos und Tutorials auf On Landscape helfen, typische Fehlerquellen ausfindig zu machen und allmählich konstante Qualität zu finden. Dank großer Freude an handwerklicher Arbeit wird auch die Technik des Kaschierens erlernt, unabdingbar bei großformatigen Prints. Für kleinere Formate werden die Passepartouts selbst geschnitten, die Bilder werden hinter Glas gelegt und versiegelt gerahmt. In Museumsqualität – versteht sich.
„Auch das schönste Foto ist erst dann fertig, wenn ich es als Bild an der Wand betrachten kann.“
Wolfgang Mayerhoffer
Spät, unerwartet – und ziemlich unspektakulär. . .
. . . erfolgt mein Einstieg in die Fotografie.
„Stell Dir vor, geneigter Leser dieser Zeilen, Du gehst auf Reisen, nach Griechenland, auf einem Segelboot, mit Dir ein Partner, der – nach vielen Jahren berufsbedingter Abstinenz – seine alte Jugendliebe, die Fotografie, wiederentdeckt hat.
Tapfer kriechst Du des Morgens noch im Finstern aus der Koje, um ihm fröstelnd und mit knurrendem Magen zu helfen, die ersten Sonnenstrahlen über türkis-blauem Wasser einzufangen…..
Zögernd, doch zunehmend geschickter hantierst Du mit dem Lichtreflektor, und wenn es sein muss, stemmst Du das sperrige Ding auch den Windböen entgegen, auf dass den kostbaren Objektiven durch verblasene Sandkörner kein Leid geschehe . . .
Verständnisvoll entsagst Du der Verlockung ein erfrischendes Bad zu nehmen und schleppst stattdessen das Stativ durch die glühende Wildnis, verlangt doch die bessere Perspektive einen nochmaligen Standortwechsel…
Lächelnd verbringst Du die lauen Abende mit erschöpfender Reflexion über Histogrammwerte und Gradationskurven. Eingehend meditierst Du über Farbschattierungen, Linienführung in die Tiefe und Bildkomposition. Dank Deiner selbstlosen, höchst aufmerksamen Anteilnahme am fotografischen Geschehen wird Dir schon bald die ehrenvolle Aufgabe anvertraut, in kurzer Notiz Ort, Zeit, und Umstände jeglicher Fotoaktivitäten festzuhalten.
Da sitzt Du also am frühen Abend mit Deinem kleinen Notizblock bewaffnet hoch oben auf der Insel Astypaleia mitten in der Macchie und harrst geduldig der „fotografischen“ Begebenheiten die kommen werden. Die Altstadt da unten liegt Dir zu Füßen, wie aus Zuckerguss schmiegt sie sich an den linken Flügel der „Schmetterlingsinsel“ . . .
. . . und plötzlich geschieht etwas mit Dir. . .
Du bemerkst, wie die späten Sonnenstrahlen die verfallenen Mauern der alten Chora in goldenes Licht tauchen, als wollten sie sie zum Abschied küssen, – die Schatten werden rasch länger und ergreifen allmählich wieder Besitz von den alten Steinen, nach und nach verlischt die kurz aufflackernde Erinnerung an frühere Schönheit. Du fühlst die Wärme der schon tief stehenden Sonne auf Deinem Rücken. Der wilde Thymian, der sich wie ein duftender Teppich vor Dir ausbreitet, lockt verführerisch die brummenden Nektarsammler von Blüte zu Blüte. Du hörst, wie den Zikaden allmählich die Kraft ausgeht, schon bald werden auch die letzten verstummt sein und sich zur verordneten Nachtruhe begeben haben. Vom Hügel da drüben tönt Glockengeläute und fröhliches Gemeckere. Ob der Hirte seinen Tieren nun Wasser bringt? Irgendwo bellt ein Hund. Deine Wangen spüren, dass der stürmische Meltemi das Ägäische Meer endlich aus seinen Armen entlassen will. Die kommende Nacht wird ruhig sein.
Während Du mit einem Mal diesen Augenblick mit allen Sinnen so intensiv aufnimmst, überkommt Dich ein seltsames Gefühl von Harmonie. Alles um Dich herum fügt sich. Deine Wahrnehmung hat sich plötzlich verändert, auf alle Sinne erweitert, und es ergreift Dich der unbändige Wunsch, diesen Moment für immer festzuhalten.“
Jetzt muss alles sehr schnell gehen . . .
Der Wunsch selbst zu fotografieren lässt mich nicht mehr los. Ich brauche eine Kamera – sofort.
Wir besuchen die Gmundner Fototage, wo man verschiedene Modelle einfach in die Hand nehmen kann. Ich finde eine kleine, sehr leichte digitale Spiegelreflexkamera, die sich für meinen Einstieg in die Fotografie anbieten würde. Sie kommt ins Haus, gerade rechtzeitig zum nächsten Urlaub. Ich knipse drauf los, teste und probiere, und versuche, mir so viel wie möglich von meinem Mann abzuschauen. Meinem Ehrgeiz geschuldet lasse ich die Programmautomatik und die JPEGs links liegen und steige von Anfang an ins RAW Format ein, was mich natürlich dazu zwingt, mit Lightroom erste Schritte in der digitalen Bildentwicklung zu versuchen.
Das Ergebnis ist ernüchternd. Verwackelt, über- oder unterbelichtet, großteils unscharf. Da hilft es wenig, dass ich Lob bekomme für so manche gelungene Bildkomposition. Das Zusammenspiel von Blende, Belichtungszeit und ISO, verkompliziert durch die Brennweite, und dem Umstand geschuldet ohne Stativ zu arbeiten, durchschaue ich einfach nicht. Ich vermag kaum zu glauben, was man da alles verpatzen kann. Bei so manchem Glas guten toskanischen Rotweins übt sich Wolfgang im Analysieren, Definieren, und Skizzieren. So nach und nach begreife ich ja den Zusammenhang in der Theorie, doch draußen – in the fields – überholen mich eine geradezu kindliche Freude, die Euphorie, die Kamera in der Hand zu halten und der Wunsch, die Harmonie des Augenblicks unmittelbar auf den Sensor zu bannen. Alles vermeintliche Wissen ist wie weggeblasen. Aus dem Bauch heraus, womöglich unter Zeitdruck, geht gar nichts.
Das Ding in meiner Hand macht ja doch was es will.
Eigentlich geht alles ziemlich langsam . . .
Erst nach und nach lerne ich mit meiner Kamera umzugehen. Ich bekomme ein Stativ – jetzt werden meine Bilder – zumindest verwacklungstechnisch besser, die Zahl der missglückten Versuche wird kleiner. Ich werde ruhiger, kann meine Euphorie etwas einbremsen und mehr Augenmerk auf eine sorgfältige Bildkomposition und die technisch richtige Handhabung der Kamera legen. Wann immer wir auf Urlaub sind, habe ich genug Zeit und Muße, mich mit dem fotografischen Handwerk intensiv auseinander zu setzen – das bringt mich ein Stück weiter. Die 2013 begonnene Ausbildung an der Prager Fotoschule ist dann für mich der Sprung ins kalte Wasser. Als sich herausstellt, dass ich die Einzige unseres Jahrgangs bin, die sich mit Lightroom so gut wie nicht, und mit Photoshop überhaupt nicht auskennt, meint der verständnisvolle Lehrer sehr freundlich zu mir: macht doch nichts, einfach anfangen, einfach probieren, einfach drauf los – das wird schon . . .
Also – einfach gar nichts ist da wirklich einfach, aber allmählich zeigen der Unterricht und die vielen fotografischen Hausaufgaben nachhaltige Wirkung. Das breit aufgefächerte Curriculum hilft mir, nicht nur mit dem eigentlichen Handwerk zurecht zu kommen, sondern bietet mir auch die Möglichkeit, weit über den fotografischen Tellerrand hinauszuschauen. Zusätzlich absolvierte Workshops erleichtern allmählich das Verständnis für die richtige Bildentwicklung und die Präsentation von Bild in Verbindung mit Text. Schlussendlich erweitert die intensive Beschäftigung mit bildender Kunst, und mit Bildkomposition im Besonderen in hohem Maße mein Wissen und Verständnis um eine geglückte Fotografie, um ein schönes Bild.